P. Hornung Gablinger: Gefühlsmedien

Cover
Titel
Gefühlsmedien. Das Nürnberger Ehepaar Paumgartner und seine Familienbriefe um 1600


Autor(en)
Gablinger, Petra Hornung
Reihe
Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen (39)
Erschienen
Zürich 2018: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
276 S.
von
Sundar Henny, Historisches Institut, Universität Bern

Lohnt es sich, einem 400-jährigen ehelichen Briefwechsel, der bereits seit über hundert Jahren ediert vorliegt, eine Monographie zu widmen? Der Historikerin Petra Hornung Gablinger zufolge, die hier ihre Zürcher Doktorarbeit präsentiert, durchaus, sofern der Gegenstand aus neuen Perspektiven betrachtet und die Forschungs- und Editionsgeschichte selbst mit zum Thema gemacht und problematisiert wird. Neu an Hornung Gablingers Arbeit zur Korrespondenz der Nürnberger Kauf- und Eheleute Balthasar Paumgartner und Magdalena Behaim sind sowohl der medien- als auch der emotionsgeschichtliche Zugang. Hatte das Quellenkorpus bis anhin primär als mentalitätsgeschichtliche Fundgrube gedient, ist es Hornung Gablinger nicht bloss um Inhalte, sondern auch um deren mediale Verfasstheit zu tun und darum, wie diese Verfasstheit dazu dient, Gefühle mitzuteilen und bisweilen tatsächlich zu materialisieren. Der Vorarbeiten des Kulturhistorikers und Archivars Georg Steinhausen (1866–1933) bedient sie sich dabei nicht – wie es ansonsten in Rückgriffen auf ältere Forschung oft geschieht – als einer zwar obsoleten, aber eben doch praktischen Grundlage, die in vereinzelten Rand bemerkungen und Fussnoten kritisiert wird. Vielmehr bringt Hornung Gablinger den Herausgeber Steinhausen explizit und am Ende sogar mit einem eigenen Kapitel ins Spiel. Wie Hornung Gablinger in der Einleitung darlegt, bietet sich das untersuchte Briefkorpus besonders an, unter medien- und emotionsgeschichtlichen Aspekten betrachtet zu werden, da die betreffenden Briefe in der älteren kulturgeschichtlichen Forschung oft als direkter Ausdruck echter Gefühle verstanden wurden – wobei ihre mediale Verfasstheit ebenso wie die historische Bedingtheit von Gefühlen aus dem Blick gerieten. Das eine wie das andere, die Briefe und die Gefühle, müssen in ihrem Kontext und nicht isoliert gesehen werden. Ein Brief war eben nicht einfach ein adressiertes, beschriebenes Stück Papier einer Senderin an einen Empfänger. Vielmehr bedurfte er seinerseits des Mediums des Boten, der überdies den Briefinhalt mittels seines mündlichen Botenberichts modifizieren konnte.

Was die Gefühle betrifft, so hat es sich mittlerweile – im Zuge der history of emotions – etabliert, sie ihrerseits zu historisieren und zu kontextualisieren. Hornung Gablingers Plädoyer, Gefühle als eingebettet in emotional communities (nach Barbara H. Rosenwein) zu verstehen, ist überdies für Briefe im späten 16. Jahrhundert besonders sinnvoll, weil auch und gerade die oft als Liebesbriefe apostrophierten Ehebriefe nicht als intimgeheim, sondern als familiär-öffentlich begriffen und entsprechend von mehreren Personen gelesen wurden.

Im ersten, mediengeschichtlich ausgerichteten Teil analysiert Hornung Gablinger unter Bezugnahme auf die Korrespondenz der Eheleute und ihres erweiterten Umfeldes die Funktionsweise von Briefen im aufstrebenden, sich aristokratisch gebenden Kaufmannsmilieu Nürnbergs. Nicht selten behandelten Briefe das Briefeschreiben selbst und erörterten, oft Topoi bemühend, die Umstände des Schreibens: Ein aufbrechender Bote drängte zur raschen Niederschrift und erzwang Kürze, konnte aber andererseits auch Anlass sein, just jetzt noch ein paar Zeilen zu verfassen. Überhaupt galt es, ständig in Kontakt zu bleiben und daher ständig zu schreiben. Das Briefeschreiben war (idealerweise) stetiger, somatischer Ausdruck der Lebendigkeit und der Erfahrung. Entsprechend wurde der Eingang von Briefen geradezu buchhalterisch zur Kenntnis genommen. Durch Archivierungs- und Aufbewahrungspraktiken verwandelte sich dann allerdings der stetige, durch Absenz bedingte Schreibfluss zum bleibenden, präsenten Monument.

Im zweiten Teil untersucht Hornung Gablinger den Brief als Medium, über das sich Beziehungen artikulieren lassen und das diese auch manifest werden lässt. Als Medium der Distanz und der Nähe zugleich war der Brief geeignet, Umbrüche im familiären Gefüge, insbesondere Eheanbahnungen und Familienkonflikte, zu verhandeln. Ebenso erlaubte es der Brief in seiner Doppelfunktion als ökonomisches und moralisches Instrument, in den Antinomien der Kaufmannsstadt zwischen Ehre und Bescheidenheit sowie zwischen Grosszügigkeit und Sparsamkeit zu navigieren.

Im dritten Teil behandelt Hornung Gablinger die Briefe als Gefühlsmedien im engeren Sinne. Vereinfachend liesse sich sagen, dass für die Eheleute Gefühle zwar nicht zu beschreiben, wohl aber «machbar» waren – und zwar durch das Schreiben selbst. In erster Linie geschah dies durch die Hand, die als federführendes Werkzeug Gefühle mitteilte – ein Sachverhalt, auf den häufig im geschriebenen Text selbst verwiesen wurde. Eindeutig als Metapher – aber eben auch als eine körperliche – diente das Herz dazu, Gefühle mitzuteilen: Als Subjekt sui generis konnte es in den Briefen Liebe oder Trauer empfinden. Das Ableben von Familienangehörigen konnte paradoxerweise gerade über den Topos der Sprachlosigkeit die Artikulation von Gefühlen ermöglichen. Die Buchführung über erhaltene Geschenke (und zuweilen die Beigabe von solchen) in Briefen (insbesondere von solchen mit einem körperlichen Bezug wie Kleider, Esswaren und Haarlocken) wiederum konstituierte nicht nur Beziehungen, sondern ist auch als Analogie zu den Briefen selbst zu sehen, vermittelten diese doch ebenfalls zwischen Körper und Gegenstand sowie zwischen Schreiberin und Leser. «Das Ding Brief» beschreibt also Beziehungen nicht bloss, sondern macht sie manifest (S. 203).

So luzide sich Hornung Gablinger auch hier liest, so sehr hätte man sich doch in diesem Kernkapitel des Buches eine gründlichere Diskussion der tatsächlichen Materialität der konkreten Briefe gewünscht. Finden sich etwa Tränen – ein anderer rhetorischer Gefühlsträger – nicht nur erwähnt, sondern auch als physiologische Spur in den Briefen? Woran lässt sich festmachen, dass «der Brief mit der Nachricht vom Tode des kleinen Balthasar [...] aufgrund seiner Tragik aus dem Meer der anderen Briefe» herausragt (S. 169)?

Im vierten und letzten Teil behandelt Hornung Gablinger, auf Vorarbeiten von Lars Deile und Jakob Tanner aufbauend, den Zugang des Herausgebers Georg Steinhausen zu dem Briefkorpus. Differenzierend macht sie dabei sowohl innovative, die Gefühle historisierende wie auch ahistorische Momente aus, die sich aus Steinhausens eigener Biographie und Stellung innerhalb der Historikerzunft, aus seinem bald affirmativen, bald ablehnenden Verhältnis zur Moderne sowie aus seinem zwiespältigen Verständnis des 16. Jahrhunderts als Epoche der Gefühlskälte und der Natürlichkeit erklären lassen. Allenfalls anzumerken wäre hier, dass Hornung Gablingers Begriff des «Romantisierens» (mit dem sie Steinhausens Blick auf die Korrespondenz benennt) seinerseits ahistorisch ist und einer Definition bedürfte. Problematischer noch scheint, dass Hornung Gablinger nirgends auf die bedeutendste Kontinuität eingeht, in der ihre Arbeit zu Steinhausen steht, nämlich auf die Behandlung desselben Briefkorpus. Hier hätte man gerne mehr gewusst: Wie singulär ist das Paumgartner-Korpus? Gibt es vergleichbare Korrespondenzen? Wie funktionierte die Überlieferung innerhalb der Familie? Wo wurden die Briefe aufbewahrt und wie? Die kurzen Ausführungen am Anfang zur weitgehend unbekannten Bestandsgeschichte (S. 43) lesen sich nicht wie das Resultat eingehender Nachforschungen.

Mit ihrer Studie legt Hornung Gablinger eine solide und weitgehend überzeugende Arbeit vor. Man kann einwenden, dass eine grössere Sensibilität gegenüber literarischen Traditionen und Topoi wünschenswert gewesen wäre, prägten diese die Gefühle und ihre Mitteilung doch mindestens ebenso sehr wie mediale Umstände. Manche der von Hornung Gablinger beschriebenen medialen Kontexte (etwa der erwähnte, im Aufbruch begriffene Bote) sind ja selbst literarische Topoi. Auch bleibt es fraglich, ob Hornung Gablingers Arbeit – bei aller kritischen Distanznahme – insgesamt und materiell nicht doch zu sehr von Steinhausens Vorarbeiten abhängt. Insgesamt jedoch gilt es, eine gut und verständlich geschriebene Arbeit anzuzeigen, der die systematische Berücksichtigung und explizite Diskussion der Rezeptionsgeschichte gewissermassen eine dreidimensionale Qualität verleiht, die das Schreiben und Fühlen im Nürnberger Kaufmannsmilieu veranschaulicht und greifbar macht.

Zitierweise:
Henny, Sundar: Rezension zu: Hornung Gablinger, Petra: Gefühlsmedien. Das Nürnberger Ehepaar Paumgartner und seine Familienbriefe um 1600, Zürich, 2018, zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (1), 2020, S. 133-135. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00054>.

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